- Schwimmende Gärten und ein Nadelwehr
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Radtour von der Prignitz nach Rathenow: Schwimmende Gärten und ein Nadelwehr
Es geht auf Landpartie durch den Sternenpark Westhavelland. Die 73 Kilometer lange Tour von Glöwen über Havelberg nach Rathenow bietet jede Menge Sehenswertes am Wegesrand – darunter den Dom in Havelberg und die Weinbergbrücke in Rathenow. Und nachts leuchten die Sterne wie sonst kaum irgendwo.
Rathenow. Wenn man ganz still ist, kann man Brandenburg hören: Der Wind raschelt im Schilf wie ein Jazzbesen, gleich nebenan plätschert das Tamburin namens Havel. Kühe und Käfer schalten sich ein und brummen den Bass. Wir haben uns beste Plätze gesichert für die brandenburgischen Konzerte, unplugged – auf einer Bank bei Grütz am Nadelwehr. Es klingt ein bisschen nach einer Forst-Spezialeinheit für Kiefernwald, aber es ist ein technisches Denkmal: Der Durchfluss wird mit einer langen Reihe von Metallstreifen reguliert. Irgendwo mischt plötzlich mitten im Konzert ein Wasservogel auf eigene Faust mit und strampelt los, was gut zu unserer MAZ-Landpartie von der Prignitz über Havelberg nach Rathenow passt.
Die 73 Kilometer lange Landpartie über Havelberg nach Rathenow hat in Glöwen begonnen, an der Bahnstation mit ihrem stattlichen Empfangsgebäude – groß wie die Lagerhalle eines Logistikunternehmens. Der Himmel hängt grau über der Prignitz wie ein alter Mehlsack: Wir sind dem Regencape deutlich näher als der kurzen Hose, als wir auf einem Waldweg Richtung Nitzow treten, aber man kann es ja auch mal positiv sehen und muss nicht gleich zum Petrusbashing ausholen: Es ist nicht zu heiß und die Luft frisch, mit einer würzigen Kiefernote. Dem Wettergott geht es wie dem Fußballgott und dem Schiedsrichter – die drei können es nie allen Recht machen.
Brandenburg verabschiedet sich mit einem militärischen Gruß, dem Truppenübungsplatz Glöwen. Ein paar ordentliche Tritte in die Pedalen später sind wir schon in Sachsen-Anhalt. Gleich nebenan gibt die Havel, der märkische Amazonas, eine glanzvolle Vorstellung, bevor sie sich nördlich von Havelberg in die Elbe verabschiedet. Der ehrwürdige, historische Kern der Hansestadt hat es sich auf einer Insel häuslich eingerichtet, nebenan auf einem Berg türmen sich der Dom und die imposanten Klostergebäude auf wie eine Art lokaler Mont-Saint-Michel.
Zeit für eine Pause: Wir flanieren durch die geschichtsträchtigen Häuserzeilen und essen zwei Kugeln Eis, groß wie Tennisbälle. Die Sonne feiert ein strahlendes Comeback bei unserer Happy Hour in Havelberg mit ihrer ereignisreichen Historie. 1716 beispielsweise hatte der russische Zar Peter I. hier von Friedrich Wilhelm I. bei einem Besuch das legendäre Bernsteinzimmer als Gastgeschenk erhalten, steht auf einer Infotafel am Dom St. Marien. Lange her – im Hier und Jetzt muss erst mal die Versorgung gesichert werden: An der Schwelle der Altmark fassen wir noch einmal Proviant, schließlich radeln wir in den wilden Westen der Mark hinaus, weit entfernt von der Welt, in der es grelle Konsumtempel gibt. Dafür funkelt nachts das Firmament wie eine Leuchtreklame für den Sternenpark Westhavelland, der zu den dunkelsten Regionen Deutschlands gehört: Auf Lichtkarten sieht es finster aus, die Gegend ist ein dunkler Fleck.
Wir schwirren durch den immer heller werdenden Tag: Weil wir auf dem exzellenten Havelradweg nach Süden rollen, geht es immer der Sonne entgegen. In den Havelauen vor den Toren der Stadt macht sich ein wenig Sentimentalität breit, weil ich hier zu DDR-Zeiten beim jährlichen Havelberger Markt mal einen knallbunten Fußballwimpel gekauft habe, ich glaube von der Fußball-Oberliga. Die Stände reichten bis zum Horizont. Keine Schnäppchen- oder Mitbringseljagd heute, dafür haschen wir Pigmente. Leichtigkeit macht sich breit, mit dem milden Frühlingswind im Rücken, der Fahrrad und Seele streichelt. Die gut gefluteten Auen mäandern bis zum Horizont wie schwimmende Gärten – unverbauter Weitblick in unberührter Natur heißt das in der Immobilien-Fachsprache. Es summt, brummt und schwingt, Störche segeln über die glitzernde Nasszelle und wir durch das Frühlingsparadies, auf dem Deich juchhé.
In Strodehne, wo Brandenburg zu Ende ist oder beginnt, je nach Fahrtrichtung, gehen wir für heute vor Anker. Fischerboote schunkeln gut vertäut im Wasser in der Immenhof-Idylle, und was immer draußen schief läuft in der Welt, hier ist ein Heimathafen, um mal durchzupusten. Der Himmel strahlt inzwischen in schönstem Nachrichtenstudio-Blau, aber man ist hier abgeschirmt von allen Befremdlichkeiten der Welt – die auch nach zwei Litern Innere-Ruhe-Tee noch für Unbehagen sorgen. Das Handy ist aus und es ist auch kein Fernseher in Sicht.
Am Abend sitzen wir noch mal an der Havel, die Sonne macht sich für den Untergang bereit, rotglühend über die Landschaft züngelnd, wie das prächtig illuminierte Innenleben einer Blutorange. Wenig später übernehmen die Sterne und funkeln, als habe sie ein Astrologe frisch poliert. Aber selbst im Sternenpark, bei bester Sicht auf das Universum, Teleskopen groß wie Wolkenkratzer: Es ist kein Ersatzplanet in Sicht, wenn wir die Erde verhunzt haben sollten – auch wenn der Umzug in Blockbustern gerne als routiniertes Ausweichmanöver geschildert wird, als ein interstellarischer Klacks. Star Treck hier, Stars Wars dort und der Mars wird auch richtig lauschig, wenn der Mensch erst mal die Regie übernommen hat. Nach einem Glas Wein sagen sich Kleiner Wagen, Großer Bär und Radfahrer Gute Nacht.
Am nächsten Morgen verblasst der stille, dunkle Zauber des märkischen Planetariums, der Tag dimmt langsam das Licht hoch, der blaue Planet zwitschert sich in den Morgen. Wir rollen Schollene entgegen, kommen in die Gänge, keine Ampeln, keine Zwänge. Der Radweg ist eine lange, autofreie Grünphase. Eigentlich könnte man sich ein komplettes Wochenende auf eine Wiese in der Auenlandschaft legen, die vom Naturgesetz regiert wird, weil man ein Renaturierungsprogramm gestartet hat. Vorbei am schönen Steckelsdorfer See, aber es ist zu kühl für ein Bad. Zur Mittagszeit erreichen wir Rathenow. Die Weinbergbrücke spannt sich weit über den Optikpark und zwei Havelarme: Ein gewaltiger, geschwungener Stahlstreifen – eine fast 350 Meter lange Mischung aus höhergelegtem Radweg, Kunstprojekt und Baumkronenpfad. Wir rollen durch die Stadt zum Bahnhof, dann verschlucken uns die Türen der Regionalbahn. Abends auf der Couch fahre ich runter und den Laptop hoch. Auf den Musikkanälen finden sich trotz intensiver Suche keine brandenburgischen Konzerte in der Naturvariante. Die gibt es nur im tiefen, wilden Westen des Landes Brandenburg. Wenn man in den Sattel gestiegen, weit ausgeritten, zur rechten Zeit am rechten Ort und dann ganz still ist.
Die Route im Schnellcheck:
Start- und Zielpunkt: Die Tour beginnt am Bahnhof in Glöwen und endet am Bahnhof in Rathenow. Beide Städte sind mit der Regionalbahn gut erreichbar.Anbindung an das Radwegenetz: In Rathenow treffen der aus Berlin kommende Havelland-Radweg und der Havelradweg aufeinander, der Richtung Brandenburg/Havel weiterführt. Havelberg liegt am Elberadweg, der auf beiden Seiten der Elbe Richtung Nordsee und dem Quellgebiet des Stromes in Tschechien verläuft. Eine Route des lokalen Knotenpunkt-Wegweiser-Systems führt von der Hansestadt außerdem Richtung Plattenburg – es gibt aber auch auf der Tour immer wieder die Möglichkeit, auf das regionale Radnetz abzubiegen.
Der Schwierigkeitsgrad: Es gibt nur sehr wenige Steigungen und Abfahrten auf der Tour, die aber wegen ihrer Länge eine Herausforderung ist. Die Havelradweg, auf dem ein großer Teil der Landpartie zurückgelegt wird, ist jedoch sehr gut ausgebaut. Wenn man sich etwas mehr Zeit nimmt, ist die Tour auch für ältere Menschen geeignet. Ob Kinder das Pensum bewältigen, sollte man individuell entscheiden. Beim Havelradweg, der auf weiten Strecken über windanfällige Freiflächen führt, kann Gegenwind zu einem erschwerenden Hindernis werden (Vorhersagen für Windstärke und Richtung gibt es beispielsweise auf wetter.de)
Länge: 73 Kilometer (Fahrtzeit sechs Stunden). Bahnhof Glöwen/Plattenburg – Nitzow – Dahlen – Toppel – Havelberg – Jederitz – Kuhlhausen – Garz – Warnau – Neumolkenberg/Molkenberg – Neu-Schollene/Schollene – Grütz – Göttlin – Steckelsdorf – Bahnhof Rathenow.
Die Strecke: Die MAZ-Landpartie führt vom Bahnhof in Glöwen über einen straßenbegleitenden Radweg, ein Stück Landstraße und Wald- und Feldwege nach Nitzow. Bis Havelberg verläuft ein straßenbegleitender Radweg. Alternativ kann von Glöwen auf einem Radweg an der B107 in die Hansestadt gefahren werden – allerdings mit viel Autoverkehr. Von Havelberg geht es auf dem gut ausgebauten Havelradweg (viel Asphalt-Radtrasse, gelegentlich Plattenweg und Landstraße) nach Rathenow.
Sehenswürdigkeiten: Die Tour ist vor allem wegen der Fahrt durch die wunderschöne Havellandschaft und das Naturerlebnis etwas ganz Besonderes: Wer viel Natur, Ruhe und Abgeschiedenheit sucht, ist auf dem Havelradweg zwischen Havelberg und Rathenow genau richtig. Die Hansestadt hinter der Landesgrenze zu Sachsen-Anhalt sorgt für eine Menge historisches Flair. Natürlich wartet in der Nacht bei klarem Himmel ein außergewöhnlich intensiver Blick auf die Sterne.
Rathenow: Die Stadt der Optik verfügt über sehr schöne Orte – beispielsweise an der Havel. Die weit ausladende, moderne Weinbergbrücke – eines der vielen Elemente aus dem BUGA-Jahr – für Radler und Fußgänger führt über die idyllische Havel-Flusslandschaft. Vom Bismarckturm auf dem Weinberg hat man einen Ausblick weit über das Havelland. Sehenswert sind unter anderem die St.-Marien-Andreas-Kirche und das Denkmal des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm auf dem Schleusenplatz.
Havelberg: Die Hansestadt gehört sicher zu den geschichtsträchtigsten Orten in der Region: Havelberg war neben Brandenburg das am frühesten gegründete Bistum östlich der Elbe. Es gibt viele lohnenswerte Ausflugsziele wie die Stadtkirche St. Laurentius und natürlich den prächtigen Dom Sankt Marien, der früher die Kathedrale des Bistums Havelberg war. Gleich nebenan befindet sich das Prignitz-Museum – hier kann ein Exkurs in die spannende Regional- und Kirchengeschichte unternommen werden. Viele Brücken, das schöne historische Stadtzentrum auf einer Havelinsel und viel Wasser sorgen für ein ganz besonderes Flair.
Wie immer warten zahlreiche schöne Dörfer sowie kleine und größere Entdeckungen und viel Natur am Wegesrand. Am Havelradweg stehen zahlreiche Infotafeln mit interessanten Fakten über die Region. Teil der Texte ist auch eine Rubrik, in der es humorvolle Schilderungen aus der Sicht von Tieren oder Sagengestalten gibt. Hinter Neu-Schollene kommt beispielsweise Frau Harke zu Wort. Die Tour führt an vielen prächtigen Bauernhöfen und Dorfkirchen vorbei: In Garz etwa steht eine in achteckiger Form gebaute Fachwerkkirche aus dem Jahr 1688, gleich nebenan gibt es einen idyllischen kleinen Hafen. Das Nadelwehr bei Grütz ist eine technische Besonderheit – es ist eine der letzten funktionstüchtigen Anlagen dieser Art in Deutschland. Außerdem befindet es sich an einem schönen Arm der Havel.
Einkehrmöglichkeiten: Es gibt in Havelberg, Rathenow und auch gelegentlich auf der Strecke Einkehrmöglichkeiten. Auf der Route befinden sich auch viele schöne Orte, um zu picknicken.
Bademöglichkeiten: An der Strecke gibt es mehrere sehr schöne Badestellen, unter anderem in Nitzow, wo ein Stück Havelstrand wartet. In Steckelsdorf gibt es ebenfalls eine schöne Badegelegenheit.
MAZ-Tipp: In einer Nacht der Perseiden, wenn in den Tagen um den 12. August durch einen jährlich wiederkehrenden Meteorstrom besonders viele Sternschnuppen zu sehen sind, im Sternenpark übernachten und den Himmel beobachten.
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